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Stand: online seit 09/04

Von Jens Engelhardt, Darmstadt*


Anwendung von Kaufrecht auf Softwareerstellungsverträge

1. Einleitung
Früher in der guten alten Zeit, also vor der Schuldrechtsreform in 2002, war alles besser und die Welt noch in Ordnung. Software war eine Sache1, erstellte Individualsoftware ein Werk2, welches vom Besteller abgenommen werden musste (und Bier wurde noch nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut).
Mit der Neufassung der Regelung über den vormals so genannten Werklieferungsvertrag3 (§ 651 BGB4) ist jedoch die Einordnung von Verträgen über die Erstellung von Individualsoftware als Werkvertrag ungewiss geworden. Aktuelle Rechtsprechung nach der Schuldrechtsreform zur Vertragstypologie von Softwareerstellungsverträgen gibt es nach den Erkenntnissen des Verfassers bislang nicht.

2. Regelungsinhalt
Gemäß § 651 S.1 BGB gilt für einen Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen das Kaufrecht. Soweit es sich dabei um nicht vertretbare Sachen5 handelt, sind nach § 651 S. 3 BGB ergänzend einige werkvertragliche Vorschriften (§§ 642, 643, 645, 649, 650 BGB) anzuwenden. Da aber § 651 BGB nicht auf § 640 BGB verweist, käme es bei Anwendbarkeit von § 651 BGB auf Softwareerstellungsverträge auf eine (werkvertragliche) Abnahme nicht an. Vielmehr wäre die kaufrechtliche Ablieferung nach § 438 Abs. 2 BGB maßgeblich.
Dies begünstigt aber in der Regel den Softwareersteller: Denn eine Ablieferung setzt lediglich voraus, dass die Sache in einer ihre Untersuchung ermöglichenden Weise in den Machtbereich des Käufers gelangt. Mit Ablieferung der Software wäre darüber hinaus die vereinbarte Vergütung vollfällig und es würde die Verjährungsfrist für Mängelansprüche zu laufen beginnen. Demgegenüber müsste der Softwarebesteller keine Abschlagszahlungen bei Teilabnahmen leisten, keine Teilleistungen annehmen und wäre bei einer Nacherfüllung nicht dem Wahlrecht des Softwareerstellers ausgesetzt, sondern könnte im Zweifel eine Neulieferung der Software verlangen.

3. Anwendbarkeit von § 651 BGB auf Softwareerstellungsverträge

3.1
Zunächst soll vorgreifend darauf hingewiesen werden, dass folgende Vertragseinordnungen6 nach wie vor relativ unstreitig sind:
  • Überlassung von Standardsoftware gegen Einmalentgelt --> als Kaufvertrag;
  • Überlassung von Software auf Zeit gegen "Lizenzgebühren" --> als Mietvertrag;
  • Anpassung durch von Dritte oder von Kunden gestellter Software --> als Werkvertrag.


  • 3.2 Viel diskutiert wird allerdings derzeit die Frage der Anwendbarkeit von § 651 BGB auf Softwareerstellungsverträge, wobei sich im wesentlichen zwei Meinungsfraktionen herausgebildet haben:

    Die eine Meinungsfraktion hält, fußend auf den Wortlaut der Vorschrift und anknüpfend an die bisherige Rechtsprechung, die die Sacheigenschaft von Software bejaht7, § 651 BGB für eindeutig anwendbar.8 Unter Hinweis darauf, dass die Verteilung der Vor- und Nachteile bei der Anwendbarkeit von § 651 BGB, also von Kaufrecht für Softwareersteller und Besteller durchaus ambivalent sind, sei die Anwendbarkeit von § 651 BGB auf Softwareerstellungsverträge auch durchaus interessengerecht.9

    Zumeist mit dem Hinweis, dass die auf den einmaligen Austausch von Leistungen ausgerichteten Regelungen über den Kauf nicht auf den Charakter von komplexen, langfristigen Softwareprojekten passe, lehnt hingegen die zweite Meinungsfraktion die Anwendbarkeit von § 651 BGB auf Softwareerstellungsverträgen ab.10

    Gegen die Anwendbarkeit von § 651 BGB auf Softwareerstellungsverträge werden im wesentlichen folgende Argumente vorgebracht:

  • Kaufrecht finde lediglich Anwendung, wenn dem Anwender das einfache Nutzungsrecht übertragen wird. Soweit dem Anwender das ausschließliche Nutzungsrecht übertragen wird, sei Werkvertragsrecht anzuwenden (3.2.1);11
  • § 651 BGB sei im Wege der teleologischen Auslegung so zu reduzieren, dass er auf Software keine Anwendung findet, Software sei also nicht wie eine Sache zu behandeln (3.2.2);12
  • Software sei keine Sache, § 651 ist daher nicht anwendbar (3.2.3);13
  • Software verkörpere sich zwar in einer Sache (Datenträger), der Schwerpunkt der Softwareerstellung liege aber in der auf dem Datenträger wiedergegebenen Leistung (3.2.4).14


  • 3.2.1 Die differenzierte Betrachtung nach dem Umfang der Einräumung von Nutzungsrechten wurde von Redeker15 in die Diskussion eingebracht. Er hält § 651 BGB und damit weitestgehend Kaufrecht nur dort für anwendbar, wo der Besteller letztendlich nicht mehr erhält, als beim Kauf von Standardsoftware; also das einfache Nutzungsrecht. Sofern dem Besteller das ausschließliche Nutzungsrecht an der Software überlassen wird, sei Werkvertragsrecht anzuwenden.

    Unabhängig davon, ob man den Umfang der Einräumung von Nutzungsrechten als zulässiges Abgrenzungskriterium erachtet - im Gesetzeswortlaut findet sich hierfür keinerlei Anhaltspunkt - führt eine derartige Differenzierung zu kaum lösbaren Folgeproblemen16: So ist es durchaus üblich, dass Bestellern von Individualsoftware zwar im wesentlichen das ausschließliche Nutzungsrecht, hinsichtlich von abgrenzbaren Softwareteilen - wie etwa Bibliotheksbestandteilen - hingegen nur das einfache Nutzungsrecht eingeräumt wird. Eine einheitliche Einordnung ist in diesem Fall dann entweder gar nicht mehr, oder aber nur mit weiteren (Hilfs-)überlegungen wie Größen-, Bedeutungs-, Innovationsverhältnis von Bibliotheksteilen zu Individualteilen der Software möglich.

    Zu Recht verweisen Schweinoch/Roas darauf, dass aufschiebende oder auflösende Bedingungen für die Einräumung des ausschließlichen Nutzungsrechts dazu führen, dass die Vertragstypologie erst bei Eintritt der Bedingung feststeht.17

    Im Ergebnis ergibt sich aus der Differenzierung nach Nutzungsrechten eher mehr denn weniger Rechtsunsicherheit und erscheint bereits aus diesem Grunde unpraktikabel.

    3.2.2 Naturgemäß sehr ergebnisorientiert stellt sich die teleologische Reduktion von § 651 BGB im Wege der Auslegung dar. Software sei zwar eine Sache, nicht aber als solche im Rahmen von Softwareerstellung zu behandeln. Sicherlich ein schwer zu vertretender Spagat, um das wünschenswerte Ergebnis der Anwendung von Werkvertragsrecht, ohne die lange Verjährung von § 634a Abs. 1 Nr. 3 BGB hinnehmen zu müssen (3 Jahre ab Kenntnis vom Mangel, längstens 10 Jahre ab Entstehung des Anspruchs, § 199 Abs. 3 Nr. 1; Abs. 4 BGB), zu rechtfertigen.

    3.2.3 und 3.2.4 Insich stringent und nachvollziehbar sind m.E. die Ansichten, dass Software keine Sache ist, sondern sich lediglich in einer Sache, dem Datenträger, verkörpert. Auch einen Vertrag über die Komposition eines Musikstückes, das sich in einem Tonträger verkörpert (bspw. dem Masterband), wird man wohl kaum als die Herstellung und Lieferung einer Sache qualifizieren können. Auf den einzelnen Tonträger wie auf den einzelnen Datenträger, also etwa einer handelsüblichen Diskette, CD oder DVD kommt es dem Besteller offensichtlich nicht an, sondern ausschließlich auf den Inhalt. Bei der Software ist dies die sich im Datenträger manifestierte Lösungskompetenz, die zumeist im Nachgang an die Auslieferung nochmals auf die Bedürfnisse und Wünsche des Bestellers angepasst (customized) werden muss.

    Wenn Software jedoch keine Sache ist, oder zumindest nicht so zu behandeln ist, ergibt sich der beachtliche Nachteil, dass Mängel der Software regelmäßig erst 3 Jahre ab Kenntnis des Mangels und in Ausnahmefall erst nach 10 Jahren seit der Abnahme verjähren. Für Sachen gilt im Werkvertragsrecht hingegen eine Regelverjährung binnen 2 Jahren nach Abnahme, § 634a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB.

    Des Weiteren weist Schneider18 auf eine andere nachteilige Folge hin: Vergütungen für Mängelbeseitigung im Rahmen von Software-Pflegeverträgen werden in der Regel erst nach der Gewährleistungszeit für zulässig erachtet. Dieser Zeitraum könnte sich aber für den Fall, dass Software keine Sacheigenschaft aufweist, auf maximal 10 Jahre nach Abnahme erstrecken.

    3.3 Wie die Gerichte und insbesondere der BGH sich in dieser Rechtsfrage entscheiden wird, bleibt letztlich ungewiss: Bleiben die Gerichte ihrer Rechtsprechung einerseits treu, dass Software eine Sache ist und deshalb nunmehr Kaufrecht anzuwenden sei - oder bleiben sie andererseits ihrer Rechtsprechung treu, dass auf Softwareerstellung Werkvertragsrecht, mit der Folge einer nunmehr langen Verjährungfrist anzuwenden sei?

    Im
    Ergebnis hat die Neuregelung von § 651 BGB zu einer nachhaltigen Rechtsunsicherheit für Softwaresellungsverträge sowohl für Besteller als auch Ersteller geführt.

    4. Vermeidung von Rechtsunsicherheit

    Softwareerstellung im komplexen Projektumfeld bedeutet von vornherein: Zusammenarbeit im Projektteam; ständige Evaluation der bisher erzielten Ergebnisse anhand von Projektplänen, Pflichtenheften, Meilensteine sowie die Aufnahme und das Management von (Neu-)Anforderungen und Change-Requests. Entsprechend passen die auf den einmaligen Austausch von Leistungen gerichteten Regelungen des Kaufvertrags nicht.

    Die Behandlung von Softwareerstellungsverträgen durch die Rechtsprechung ist nach der Änderung von § 651 BGB nach wie vor ungewiss. Es muss den Vertragsparteien auch aus diesem Grunde nachdrücklich empfohlen werden, nicht auf die Regelungen des Gesetzes zu vertrauen, sondern in ihren Verträgen eigene sach- und interessengerechte Regelungen und Lösungen zu treffen.
    Insbesondere empfiehlt es sich aufzunehmen:

  • Verfahren und Regelungen zur Teilabnahme nach Erreichung von Meilensteinen;
  • Abschlagszahlungen;
  • Verfahren und Regelungen für die Gesamtabnahme;
  • Eindeutig zu bestimmende, angemessene Verjährungsfristen;
  • Für beide Seiten angemessene Gewährleistungs- und Haftungsregelungen.



  • * Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Engelhardt + Braune in Darmstadt und berät u.a. sowohl Softwarehersteller als auch Softwareanwender.

    1 Vgl. BGH v. 04.11.987- VIII ZR 314/86, Computer und Recht (CR) 1988, 124; BGH v. 18.10.1989- VIII ZR 325/88, CR 1990, 112; BGH v. 14.07.1993 - VIII 147/92, CR 1993, 600; anders der Urheberrechtssenat des BGH, BGH v. 20.01.1994 - I ZR 267/91, CR 1994, 275.

    2 Vgl. BGH v. 30.01.1986 - I ZR 242/83, CR 1986,377; BGH v. 4.11.1987 -VIII ZR 314/86, CR 1988, 123 f; BGH v. 18.10.1989 - VIII ZR 325/88, CR 1990, 24; BGH v. 07.03.1990 - VIII ZR 56/89, CR 1990, 707; BGH v. 23.01.1996 - X ZR 105/93, CR 1996, 467.

    3 Der Begriff Werklieferungsvertrag ist in der Neufassung entfallen; Die Überschrift lautet nunmehr: "Anwendung des Kaufrechts".

    4 Zum BGB s.: http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bgb/index.html .

    5 Nicht vertretbare Sachen sind gem. § 91 BGB bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen: Standardsoftware = vertretbar - Individualsoftware = nicht vertretbar (i.d.R).

    6 Einen guten Überblick zu den Vertragstypen im Softwarebereich gibt Jochen Schneider in: Handbuch des EDV-Rechts, 3. Aufl. 2003.

    7 S. Fn 1.

    8 S. Jochen Schneider in: Handbuch des EDV-Rechts, 3. Aufl. 2003, S.1465; Martin Schweinoch/Rudolf Roas in: CR 2004, 326ff.

    9 Schweinoch/Roas in: CR 2004, 331 (326).

    10 S. Hartwig Sprau in: Palandt, 63. Aufl. 2004, § 651, Rn. 5; Helmut Redeker in: IT-Recht in der Praxis, Rn. 278 ff, 296 ff; CR 20004, S. 88 ff; Claus Dieter Müller-Hengstenberg, CR 04, S. 161 ff.

    11 Helmut Redeker in: CR 04, S. 88 ff.

    12 Michael Bartsch in: CR 2001, S. 655 (649).

    13 Claus Dieter Müller-Hengstenberg in: CR2004, S. 164 (161) m.w.N.

    14 S. Hartwig Sprau in: Palandt, 63. Aufl. 2004, § 651, Rn. 5.

    15 Helmut Redeker in: CR 2004, S. 88 ff.

    16 Zum Teil werden diese von Redeker auch selbst angesprochen: s. Helmut Redeker in: CR 2004, S. 91 (88).

    17 Martin Schweinoch/Rudolf Roas in: CR 2004, S. 329 (326).

    18 Jochen Schneider in: CR 2004, S. 242 (241).