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Stand: online seit 04/01


Ref. jur. Hanno Durth, Darmstadt

Die Rechtsgemeinschaft als Verbraucherkooperative1

Schon die letzten beiden Aufsätzen zum Internet-Recht beschrieben den Drift weg von einem Recht des Gesetzgebers hin zu einer Selbstgesetzgebung der Adressaten. Diese Überlegung soll hier vertieft werden:


Nach dem man Gott mit dem Beginn der Moderne aus der diesseitigen Welt verabschiedete verstand man unter Rechtsetzung eine zielgerichtete Aktivität. Spiegelte Recht zuvor eine gottgewollte Ordnung wieder, musste Recht nun immer mehr Ruhe und Frieden wiederherstellen: Rechtsetzung wurde von einer passiven zu einer aktiven Handlung. Diese Handlungskompetenz wurde dabei von einer Oberschicht gegenüber einer Unterschicht beansprucht, die zunächst gar nicht weiß, dass sie eine solche ist oder wird. Es wurde also nicht dem Volksrecht ein Oberschichtenrecht entgegengesetzt; vielmehr geht die Oberschicht davon aus, dass sie alleiniger Hüter des Rechts ist. Die Elite nahm für sich in Anspruch das Recht besser als die Menge zu beherrschen und zu verwirklichen.2 Für große Teile der Bevölkerung hatte dies zur Konsequenz, dass Gefahren für die eigene Lebensplanung nicht aus ihrem Nichtwissen, sondern aus dem Wissen der Elite resultierte.3


Diese Sichtweise auf die Welt wurde durch die Organismus-Metapher verfestigt: es wurde behauptet der Herrscher sei der Kopf oder die Seele des Staates und dieser ohne ihn ein Leichnam. Der Herrscher und der Staat konnten so nicht voneinander getrennt werden. Noch der Begriff der Verfassung erlaubt eine organische Staatsauffassung. Der Begriff des Staates, als Einheit der Regierenden und der Regierten, verlangte die Festlegung der Betroffenen - vor allem Dingen der Unterworfenen. Diese Festlegung erfolgte territorial. Damit wurde der Begriff des Staates gebietsabhängig, und man registrierte diesbezügliche Störungen. Der Nationalstaat musste nun Vorsorgemaßnahmen für etwaige Verletzungen treffen - auch rechtliche! Frieden und Gerechtigkeit, Ruhe und Ordnung wurden zu Staatszielen. Die Nationalisierung des Staates vollzog sich durch rechtliche, sprachliche, kulturelle und ideologische Vereinheitlichung der Bevölkerung, die das Territorium unter seiner Rechtsprechung bewohnte. Die Gleichheit vor dem Gesetz war so nicht nur Motor der Abschaffung des Adels, sondern auch der Untergrabung kommunaler Autonomie und der Errichtung der Klasse, die diese Gleichheit definierte und über sie entschied. Politik und Wissenschaft nahmen sich selbstlos dieser Aufgabe an - und der dazugehörigen Macht.4


Ordnung war nun nicht mehr ,,natürlich``, sondern musste geplant und hergestellt werden - man steuerte auf die Diktatur der Vernunft zu. Politik und Wissenschaft betrachteten die Herstellung der rational geplanten Gesellschaft als ihre Aufgabe. Wissenschaft wurde als Gesetzgebungsberatung für den Herrscher verstanden - als gesetzgebende Vernunft. Die Ideen der Aufklärung zogen ein: nicht als Problematisierung von Herrschaft, sondern als Projektion einer anderen Zukunft für andere. Dominierende Vokabeln wurden nun Entwurf, Gestaltung, Verwaltung, Technologie, System. Man wechselt beim Rechts- und Beamtenstaat als Mittel zur Abfangung von Unruhen und Störungen auf ein Mittel zur Reformierung des Staates. Je mehr die Elite mit Hilfe der Wissenschaft das Wohlergehen der Menschen zu steigern versucht, desto klarer war jedoch auch, wer oben und wer unten steht. Zweck-Mittel Modelle dominierten Politik und Politikberatung. Diese technische Rationalität lässt Fragen nach den moralischen und politischen Auswirkungen verstummen. Aus dem Gesetz der Vernunft wurde wieder ein Gesetz der Natur. Medizin- und Gärtnermetaphern bestimmten die Selbstbeschreibung: Entweder musste Unkraut aus dem Garten der Nation entfernt oder der Volkskörper gegen eine Krankheit geschützt werde - immer soll jedoch durch Beseitigung gesiegt werden. Wie der Nationalismus eine Unterscheidung von innen und außen einführte, führte der Elitismus eine Unterscheidung von oben und unten ein, wobei beide Unterscheidungen hierarchisiert wurden, das heißt der Unterscheidende sich auf der positiv besetzten Seite der Unterscheidung verortete.


Von diesen Unterscheidungen müssen wir uns verabschieden. Sie machen in der Welt des Internets keinen Unterschied mehr: Nation und Ausbildungszertifikate haben nicht mehr ihr früheres Gewicht. Es gibt im Internet auch keine zwei Klassen von Menschen mehr. Das Internet bietet die Möglichkeit dem Rechtsverständnis des Nationalstaates ein alternatives entgegenzuhalten: das einer Verbraucherkooperative5 Die Verbrauchergemeinschaft hebt die Ordnungsvorstellungen des Nationalstaates auf. Was innerhalb ihrer geschieht ist weder bewusst organisiert noch zufällig. Unkoordinierte Maßnahmen treffen aufeinander und verbinden sich mit verschiedenen Teilen des Gesamten, um sich sodann wieder aus allen früher geknüpften Bedingungen zu lösen. Es herrscht Selbstverwaltung, nicht als eingerichtete und starre Struktur, sondern als eine durch einzelne Kommunikationsakte sich selbst schaffende und jederzeit veränderbare Verdichtung: weder Ordnung noch Anarchie, weder determiniert noch zufällig, vielmehr fließend. Selbstverwaltung schließt hier eine polyzentrische Machtverteilung ein, die keine Hierarchien kennt aber auch nicht egalitär ist. Rechtsgeltung muss immer wieder durch Streuung von Einflussmöglichkeiten jenseits von Ämtern neu verhandelt und bestätigt werden. Es bestimmt nun nicht mehr, wie noch im Nationalstaat, der Produzent von Gesetzen das Recht, sondern derjenige, der Recht nachfragt - der es sozusagen konsumiert. Der Anteil jedes Mitgliedes an diesem Gemeinschaftsunternehmen bemisst sich an der Größe seines Verbrauchs an Recht. Das was der ,,Verbraucher`` an Recht nachfragt, bestimmt die Rechtswelt: was nicht geordert wird, bestimmt auch nicht die Angebotspalette. Entsprechend verändert sich permanent das Erscheinungsbild des gesamten Rechtsangebots. Dem Gesetzgeber tritt nun der Gesetznehmer gegenüber, der das geprüfte Warenangebot nun auch als ungenügend ablehnen kann. Das Angebot liefert Dinge, die Waren werden sollen - doch erst die Nachfrage macht sie zu solchen. Der Rechtskonsument erhebt durch seine Wahl sozusagen herumirrende Rechtsangebote zu Rechtswerten.


Ist das Einheitsangebot des Gesetzgebers erst einmal gebrochen und der Konsument nicht auf ein einziges Rechtsprodukt angewiesen, so kehrt sich auch die Sichtweise auf das Recht um. Es wird nun nicht mehr nach einem Plan einer Elite das Recht als ein Mittel zu einem bestimmten Zweck eingesetzt, zu dem sich die davon Betroffenen nicht äußern konnten. Vielmehr werden die Zwecke nun durch die Betroffenen selbst erwählt in dem sie auf bestimmte Recht zu ihrer Verwirklichung zurückgreifen und auf andere nicht. Dementsprechend sind diese Zwecke und Ziele nicht mehr im Vorhinein bestimmbar. Das Angebot richtet sich nun an der Nachfrage aus.



Fußnoten
1
Im folgenden lehnt sich der Aufsatz an Überlegungen Zygmunt Baumans zur Kultur im allgemeinen an; siehe ders. Unbehagen in der Postmoderne, insbes. S. 226 ff., Hamburg 1999.
2
Assmann, Kulturelles Gedächtnis. Schrift Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, S. 149, München 1999
3
Beck, Risikogesellschaft, S. 300, Frankfurt/M 1996
4
Bauman, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, S. 145 & 86, Frankfurt/M 1995; ders., Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, S. 111 & 153, Frankfurt/M 1994
5
In Anlehnung an Bauman: ,,Ich greife auf das Idealmodell zurück - etwa dem ähnlich, was den geistigen Vätern der Society of Equitable Pioneers vorschwebte, als sie 1844 ihren ersten Laden in der Toad Lane in Rochdale eröffneten. Man muss sich einmal daran erinnern, dass dieser Laden, der von denselben Menschen betrieben werden sollte, die dort auch einkauften, aus Protest (und als Abhilfe) gegen eine übermächtige und seelenlose Bevormundung erfunden wurde, die man nur allzu gut aus dem Fabrikleben kannte.``Bauman, Unbehagen, S. 238.