Ref.jur. Hanno Durth, Darmstadt
Kommentar:
Vom Internet des Rechts zum Recht des Internets
Recht und Internet finden erst nach und nach zusammen. Anfangs war es
für die Juristen eine Spielwiese verschrobener Sonderlinge, auf der
der Bedarf an rechtlicher Regelung genauso überflüssig erschien wie
auf einem Kinderspielplatz. Dann meinte man, mit den schon bestehenden
Regelungen auch die neu auftauchenden Probleme in den Griff zu
bekommen. Es schien egal, ob ein Vertrag telefonisch oder per
Mausklick zustandekam, ob Kinderpornographie unter einer Ladentheke
oder einer Webadresse gehandelt wurde. Erst spät entdeckte man eine
dritte Lesart des Verhältnisses von Recht und Internet: die Frage, ob
das Internet selbst Recht hervorbringen kann - das Internet als
Rechtsquelle.
Dies setzt voraus, daß ein Bedürfnis nach Recht im Internet
besteht. Dies ist nicht selbstverständlich! Ein Großteil der
Internetgemeinde schätzte gerade den Freiraum, der sich aus der
Abwesenheit von Politik, Wirtschaft und Recht im virtuellen Raum
ergab. Der sofort organisierte Widerstand gegen Versuche von
Kontrolle und Zensur im Netz waren Zeichen dieser Skepsis gegenüber
staatlichen Steuerungsansprüchen. Recht wurde als repressives
Instrument identifiziert. Es erscheint aber fraglich ob man deswegen
Recht für das Internet überhaupt ablehnen soll und kann. Es geht
im folgenden nicht um die Frage um ein mehr an der bekannten Form des
Rechts nun eben auch im Internet, sondern um die Frage nach einem
Recht aus dem Internet selbst heraus. Mit anderen Worten: es geht
nicht um den politisch via Recht umgesetzten wirtschaftlichen Wunsch,
etwa Softwarepiraterie zu unterbinden, sondern um die Frage wie Recht
im Internet selbst entstehen kann. Wie müssen
Rechtfertigungszusammenhänge im Internet aussehen, damit sie unter
den Nutzern Geltungskraft beanspruchen können? Es geht also nicht um
eine rechtliche Regulierung außerhalb des Internets, sondern um die
innere rechtliche Selbstorganisation des Internets.
Auch die Kommunikation im Internet benötigt die knappe Ressource
Vertrauen, und wenn dies aufgrund der Anonymität des Netztes nicht
mehr zwischenmenschlich hergestellt werden kann, muß es institutionell
hergestellt werden: mittels Recht. Aufgrund der weitgehend herrschaftsfreien und
globalen Struktur des Internets, ist Recht aber nicht mehr über die
herkömmlichen nationalen Quellen herzustellen: Gesetzgebung und
Instanzenzug. Weder Parlament noch Justiz können hier
weiterhelfen. Dies ist aber kein Grund einem potentiellen Recht im
Internet den Rechtscharakter abzusprechen. Ähnlich dem Völkerrecht
und dem Internationalen Handelsrecht herrscht Bedarf an Recht bei
gleichzeitiger Abwesenheit von rechtsverleihenden und
-kontrollierenden Instanzen. Die sozialen Strukturen selbst verlangen
nach der Möglichkeit, Erwartungen über Recht zu
stabilisieren. Situationen, in denen keine Standards existieren, werden
als unsicher empfunden und gemieden. Als alternative Rechtsquelle zu
Gesetzgebung und Justiz bietet sich daher die Vertragskategorie
an. Wenn sich aber die Internetmitglieder über Verträge miteinander
vertragen sollen, so stellt sich die Frage, wer dies kontrollieren,
bewerten und sanktionieren soll? Denn es ist offensichtlich, daß eine
solche Konstellation den Stärkeren bevorzugt: den freien Fuchs im
freien Hühnerstall. Wenn es allerdings im Internet keine Hierarchie
gibt, kann die Antwort auf die obige Frage nur lauten: die Internetnutzer.
Die Benutzer des Netzes müssen selbst zu Autoren und Kontrolleuren
des Rechts im Internet werden. Sie müssen sich selbst zur
Gesetzgebung mandatieren - und: sie müssen dies schnell tun. Umso
mehr Wirtschaft und Politik mittels Recht auf das Internet zugreifen,
umso dringender wird ein Internetrecht, das sich diesen Zugriffen
erwehren kann. Eine Selbstbestimmung der Benutzer wird ansonsten nicht
mehr möglich sein; vielmehr werden sie sich den Vorstellungen
außerhalb des Netzes fügen müssen. Der oben angeführte Widerstand
gegen Zensur im Netz ist der Beginn eines solchen Rechts - wenn es
auch nicht als ein solches identifiziert wird. Die Internetgemeinde
sagt damit ,,Nein`` zu politischen oder wirtschaftlichen
Begehrlichkeiten, die ihre Selbstgesetzgebung bedroht. Mittelfristig
wird man aber mit reiner Negation nicht auskommen. Es wird nicht
ausreichen, zu sagen ,,dieses Recht wollen wir nicht``, um dem
Reglementierungsdruck von außen zu widerstehen. Man muß diesen
fremden Vorstellungen von Recht eine eigene entgegensetzen und sie im
Netz praktizieren. Auch um diese notwendigen neuen Strukturen eines
solchen Internetrechts soll es in ius-IT.de in Zukunft gehen. Wie
entstehen im Internet Normen, wie erlangen sie Geltungskraft, wie
können sie durchgesetzt werden? Welche Rechte müssen wir für das
Internet entwickeln?